Dieses Jahr tagte SAT am Schwarzen Meer. Das Programm war touristisch reichhaltig – zur Freude der etwa Hundert Kongressteilnehmer, die darüber hinaus regelmäßig zu fruchtbaren verbandsbezogenen Arbeitssitzungen und Vorträgen zusammenkamen.
Es ist wirklich alles möglich! SAT – ein Arbeiterselbstbildungsverein – versammelte seine Mitglieder und andere Interessierte dieses Mal in Jalta, der repräsentativsten ukrainischen Küstenstadt, in die die Bourgeois der umliegenden Länder reisen, um in der Sonne und im Meer zu baden. Natürlich gab es auch für die sechzig Arbeiter am Kongressort viele Sehenswürdigkeiten (der Liwadija-Palast, wo die Konferenz von Jalta 1945 stattfand; eine für Touristen gedachte Darstellung der Schlacht von Sewastopol 1855, die Gelegenheit bot, das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie Geschichtsdarstellungen für ein nichtspezialisiertes Publikum mit nationalistischer Manipulation einhergehen können – und vieles mehr).
Bemerkenswerte Qualität hatte das Vortragsprogramm, in dem es diesmal um “Nationalismus” ging, mit besonderem Blick auf die Kongressregion. Nikolai Gudskow stellte seine These vor, wonach wirtschaftliche Globalisierung und die gegenwärtig sich entwickelnden Nationalismen und Formen lokaler nationalistischer Politik nicht gegensätzlich, sondern ganz und gar komplementär seien. Begeisterung weckte die Vorstellung des Moskauer Sprachenfestivals, bei der Irina Gontscharowa allgemeinverständlich machte, wie ein unabhängiges Sprachenfestival veranstaltet und entwickelt werden kann, ohne in die nationalistische Falle hineinzutapsen. Auch über Kasachstan wurde gesprochen, und dabei war es besonders bemerkenswert, dass Swetlana Birukowa, die Vortragende, in keiner Weise durch die Medien des Landes Zugang zu Informationen über wichtige, durch den Staat grausam unterdrückte Bergarbeiterstreiks finden kann. Solche Informationen gingen ihr durch die Debattenteilnehmer anderer Länder zu. Damit wurde ersichtlich, wie das SAT-Organ Sennaciulo schon heute eine wichtige aufklärende Funktion erhalten hat, die es in einem noch höherem Maß erfüllen könnte. Petko Denew beschrieb die Tätigkeit von Gewerkschaften in Bulgarien und die Art, wie kapitalistische Politik sie beeinflusst: eine Arbeiterklasse, die die niedrigsten Löhne in der ganzen Europäischen Union erhält, Gewerkschafter, die nach und nach lernen, wie sie in einem immer repressiveren gesellschaftlichen Zusammenhang aktiv sein und vorankommen können, starke Auswanderung von Bulgaren nach Westeuropa, um niedrig bezahlte Arbeit zu finden, und demgegenüber eine genauso starke Einwanderung von Menschen verschiedener Herkunft, die bessere Lebensbedingungen als in ihren Ursprungsländern suchen.
Der kulturelle Teil des Programms war etwas weniger reichhaltig als gewohnt, doch wurde die Gelegenheit nicht verpasst, die Rolle von Borowko, Ostrowski, Langlet und Guiheneuf zu behandeln – die alle einst in Jalta lebten und großen Einfluss auf das Leben und die Praxis des Esperanto hatten. Jalta ist auch die Stadt von Anton Tschechow, dessen Haus besichtigt wurde und in dessen Garten die Teilnehmer sich bei verschiedenen Sketchen vergnügen konnten, die “Improvizo”, die Esperanto-Theatertruppe von Jalta, vorstellte.
Auf einem SAT-Kongress geschieht oft das Unerwartete, und in diese Rubrik fällt eine große und vertiefte Debatte über Sprachenrechte und Nationalismus im ukrainischen Zusammenhang – zu einem Zeitpunkt, als ein Gesetzentwurf im Parlament eingebracht worden ist, der Russisch zur zweiten Amtssprache in der Ukraine, einem Land mit großen von Russischsprechenden bewohnten Gebieten, machen würde. Der Gesetzentwurf hat die Unterstützung eines Teils der Bevölkerung und von in Russland (das nicht immer frei von einem gewissen Nationalismus war) lebenden Russen, während er durch andere Ukrainer missbilligt wird (darunter viele Nationalisten, die diese Gelegenheit ausnutzen, um ihre Anhängerschaft auszuweiten).
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