Am Kaffeetisch sitzt eine französischsprachige 18-Jährige mit einem bulgarischsprachigen Anarchisten, der ihr erzählt, wie er seine Gefängnisaufenthalte vor und während der kommunistischen Zeit erlebt hat. Auf dem Korridor tauschen sich eine 60-jährige Bulgarin und ein 20-jähriger Serbe über ihre Lebensbedingungen aus. Während einer Sitzung bemerkt jemand aus Extremadura vor verschiedensprachigen Teilnehmern, dass die Bosse die Ausbeutung in der Europäischen Union übernational organisieren. Ein Genosse aus Tokio teilt mit, dass die Japanische Kommunistische Partei die viertgrößte im Land sei und von Jugendlichen massenhaft unterstützt wird. Trotz politischer Meinungsunterschiede und sprachlicher Verschiedenheit verständigen sich alle unbeschwert auf Esperanto. Das war der 81. Kongress des Anationalen Weltbundes in Kasanlak, Bulgarien.
Zwischen dem 9. und dem 16. August 2008 trafen sich 80 Arbeiter aus 14 Ländern und 3 Kontinenten, um ihre Organisation weiterzuentwickeln, Informationen und Erfahrungen über gesellschaftspolitische Ereignisse in der Welt auszutauschen, sich anzufreunden und neue Projekte in Angriff zu nehmen. Das Programm war reichhaltig.
Diese haben sich mit Themen wie Welthunger, Gewerkschaftsaktivität, Hilfe für Immigranten, mögliche Lösungen der weltweiten Umwelt- und sozialen Krisen, die gesellschaftspolitische Situation in postsozialistischen Gebieten und Ausbeutung im kapitalistischen Paradies befasst ; die Kongressdeklaration zeichnet ein allgemeines Bild der Debatten und ihrer vorläufigen Ergebnisse.
Zwecks Erweiterung der inneren Demokratie und der Verbindung zu Genossen ohne Internetzugang wird ein Netz von regionalen SAT-Mitgliedergruppen aufgebaut, um Kontakte mit anderen Arbeiterorganisationen zu organisieren und Verbandsangelegenheiten zu erörtern.
SAT setzt seine gegen Aufrüstung gerichtete Aktivität fort, indem er Staaten zur Unterzeichnung der Konvention von Ottawa und der künftigen Konvention von Oslo auffordert.
SAT eröffnet eine ehrgeizige Kampagne zur Erarbeitung von Informationsmaterial in verschiedenen Sprachen über die weltweite aufklärerische Rolle von SAT.
In Verbindung damit sollen Bildungsmaßnahmen zu den Sachgebieten Webmanagement und Verbandsfinanzen organisiert werden, damit die Mitglieder innerhalb und außerhalb von SAT selbständiger ihrer täglichen Tätigkeit nachgehen können.
Die Verlagskooperative, nachdem sie zum Auftakt Werbemittel, T-Shirts, Broschüren und ein erstes Buch, Mortpuno, herausgebracht hat, hat jetzt zwei neue Bücher in der Reihe Laborista Memoro (Arbeitererinnerung) veröffentlicht.
La Pariza Komunumo de 1871 wurde in Zusammenarbeit mit dem Freundeskreis der Pariser Kommune von 1871 vorbereitet. Das Buch beschreibt eine der bedeutendsten Episoden der Geschichte der Arbeiterklasse und enthält zur Vertiefung des Themas auch Artikel über einige bedeutende Persönlichkeiten der Kommune.
La Itala Socialismo kaj Esperanto stellt die Esperanto-Debatte auf den Seiten der italienischen sozialistischen Presse des Jahres 1918 vor, bei der Antonio Gramsci eine besonders einflussreiche Rolle einnahm. Drei Beiträge aus der Gegenwart ergänzen die historischen Dokumente zum Thema. Die meisten Mitarbeitenden gehören der Fachgruppe Esperanto des italienischen Kulturverbands Arci an. Drei weitere Bücher sind in Vorbereitung und fünf andere Projekte nahmen während des Kongresses ihren Anfang.
Mehrere Vorträge wurden gehalten :
– Eine kurze Geschichte Bulgariens und der Stadt Kasanlak von Swoboda Damjanowa
– Die Frauenbewegung in Bulgarien von Radka Stojanowa
– Das Buch Salvo de nigra bubalo von Laszlo Husar
– Der Esperanto-Arbeiterschriftsteller Christo Gorow von Radka Stojanowa
– Tschudomir, bulgarischer Schriftsteller und Maler von Nikolao Uzunow
Wie es in einer Arbeiterorganisation gehört, kamen Volkskulturdarstellungen nicht zu kurz :
– Volkstänze und Volkslieder, die durch örtliche Volkstanzvereine vorgestellt wurden ;
– ein Konzert des Belgrader Ensembles Libriko, das aus vier jungen Geschwistern besteht, die in berührender Weise Musikstücke aus aller Welt darboten. Am Ende des Konzerts baten sie die Zuschauer, weitere Lieder und Musikstücke aus den eigenen Regionen einzusenden – eine weitere Art des direkten Austausches durch SAT-Mitglieder.
Wie bei Esperanto-Kongressen üblich, wird die Gelegenheit touristisch ausgenutzt, da Ortsansässige die besten Fremdenführer und Dolmetscher in ihrer Region sind. In Kasanlak wurden Museen für Ethnologie, die Rosenindustrie, den Zeichner und Erzähler Tschudomir, den Musiker Petko, sowie eine Nachbildung des thrakischen Friedhofs besucht. In der Umgebung besichtigten die Teilnehmer einen echten thrakischen Friedhof, die wunderschöne russische Kirche Schipka, das Kloster Drianowo und die Stadt Weliko Tarnowo, die ehemalige bulgarische Hauptstadt.
Auch wenn das Programm reichhaltig war, wäre es falsch, Programmablauf und Kongress gleichzusetzen. Austausch gab es auch zwischen Sitzungen, bei Mahlzeiten und für einige bis spät in der Nacht. Alles, was ein SAT-Kongress bereichert und mehr als Theorievorträge zur Verankerung eines weltumfassenden Klassenbewusstseins in den Köpfen beiträgt, lässt sich nicht aufzählen. Ein Beispiel unter vielen : ein australischer Rentner, ehemaliger Klempner, bezweifelte, dass es sich lohnt, einen Kongress zu besuchen, wo die meisten Teilnehmer "Intelligenzler" sind, Lehrer oder Ingenieure zum Beispiel. Sein Tischnachbar, ein biologischer Forscher, fand leicht Beispiele dafür, dass diese Auffassung Erfahrungen aus nur einigen Kongressen übertrieben verallgemeinert (um so mehr, als der dritte am Tisch ein Landarbeiter aus den Pyrenäen war...). Die Unterhaltung mit einem ehemaligen Diamantschleifer über Korruption und Rassismus im Gewerkschaftsmilieu, oder die während eines Spaziergangs getroffene Feststellung eines der Organisatoren, eines Arbeiters in einer Waffenfabrik, dass die Herausnahme medizinischer Dienstleistungen aus dem Versicherungskatalog nun auch in Bulgarien Mode wird.
Natürlich waren die Diskussionen nicht immer ernst. Es war immer wieder verblüffend, wie etwa das Wortspiel einer Kroatin von den Umstehenden, deren Muttersprache Französisch oder Niederländisch war, sofort verstanden und mit aufbrausendem Gelächter quittiert wurde.
Zum Schluss sei angemerkt, dass es auch Meinungsaustausch auf Englisch gab, etwa während des Besuchs zweier Verantwortlicher der Bulgarischen Kommunistischen Partei. Was für ein Unterschied zwischen den zögerlich auf Englisch geführten Unterhaltungen auf der Flur und der Diskussion in der Versammlung, die ein bulgarischer Esperantist gedolmetscht hat ! Es gab auch einige mehrsprachige Teilnehmer, die bei passender Gelegenheit ihre Bulgarischkenntnisse aufgefrischt haben. Esperanto ist eine sehr praktische Lösung für das Weltkommunikationsproblem, aber keineswegs die einzige oder eine obligatorische.
Text : Autorengruppe aus Kongressteilnehmern
Übersetzung : LEA/G (Freie Esperanto-Bund für deutschsprachige Gebiete)
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