Der 91. SAT-Kongress hat in Kragujevac (Serbien) vom 5. zum 12. August stattgefunden. Kragujevac hat 180.000 Einwohner und ist die viertgrö?Ÿte Stadt in Serbien, geschichtlich interessant als ehemalige serbische Hauptstadt im frühen 19. Jahrhundert und Standort der ersten Industrien des Landes wie der Waffenfabrik VTZ, aus der später das Zastava-Automobilwerk hervorging. Trotzdem befindet sich die Stadt abseits der gewöhnlichen Touristenpfade und ist somit ein guter Ort, um das Leben des Landes zu beobachten.
Das Kongressthema „Esperanto und transnationale Kommunikation im Zeitalter der Informationstechnologien“ ist von großer Aktualität, aber es ist auch eine wirkliche Herausforderung für SAT, wie für andere Organisationen, die Esperanto verwenden. Neue Kommunikationsmöglichkeiten durch Internet locken mit dem Versprechen dichterer Vernetzung, doch stellen sie Anforderungen, besonders was das Lernen angeht. Darum hat sich SAT dem Thema zugewandt. In einer Sitzung besprachen Interessierte, „wie ein Web-basiertes Entscheidungssystem aufgebaut werden kann, mit dem SAT-Mitglieder in ihrem täglichen Leben auf hinreichend einfache Weise teilhaben können, damit die Verwaltung und Struktur von SAT demokratischer werden“. Gleichzeitig wurde praktisch versucht, einige Mitglieder außerhalb des Kongresses durch Internet teilnehmen zu lassen. Es wird gerade diskutiert, wie Plattformen im Netz direkte Demokratie bei weit verstreuten Gruppen und Organisationen erleichtern können. Das ist Neuland für SAT, dessen Mitglieder noch einiges lernen müssen. Schon konkret wird dagegen die Idee, regelmä?Ÿige Mitglieder-Meinungsumfragen durchzuführen. Die diesjährige Leitresolution „unterstützt den Vorschlag, dass das Vollzugskomitee regelmä?Ÿige Internet-Umfragen unter den Mitgliedern über SAT-spezifische wie auch allgemeine politische und soziale Themen abhält“.
Mit Bedauern stellten die Kongressteilnehmer fest, dass ein „altes“ Kommunikationsmittel von manchen unzweckmä?Ÿig benutzt wird: die Mailingliste. Die Leitresolution verurteilt „beleidigenden Austausch in der SAT-Mailingliste“ und „wünscht eine Verbesserung bei [der Mailingliste] SAT-diskuto durch Teilnahme von mehr Genossen und durch Schaffung einer weniger geschwätzigen und ernsthafteren Debattenstimmung“.
Außer Kommunikation hatten auch kulturelle, historische, unterhaltende, künstlerische und Esperanto-bezogene Themen einen Platz im Programm: „Ökologische Aspekte des Veganismus“, „(Koreanische) Kinderbücher und ihre Beziehung zu Geschichte, Gesellschaft und Arbeiter“, „Das Esperanto-Zentrum in Rumonge [Burundi]“, „Kann durch Esperanto an der Oberschule zu außernationaler Gefühls-, Denk- und Handlungsfähigkeit erzogen werden?“, „Balkan – ein Schimpfwort?“, Marko Kraljević, Esperanto in Banja Luka, eine Ausstellung und ein Workshop über Patchwork, Porträtierung von Zamenhof, portugiesische Literatur, Esperanto-Grammatik, Esperanto-Mailinglisten, serbische Volksdichtung und Volkslieder, die Erfindung der Photographie, Gebirgsblumen. Zwei Buchneuerscheinungen wurden vorgestellt: über Erfahrungen von Esperantosprechenden im 1. Weltkrieg bzw. im spanischen Bürgerkrieg und in der Zeit danach.
Mehrere SAT-Plattformen („Fraktionen“ genannt) trafen sich: die libertäre, kommunistische, ökologische, anationalistische und vegetarische; außerdem die Esperanto-Fördergruppe und das LEA-Komitee (das die Arbeit der Arbeiter-Esperanto-Gruppen der einzelnen Sprachgebiete koordinieren soll). Ausgehend von einer Diskussion auf der Sitzung der Esperanto-Fördergruppe, ermutigte der Kongress dazu, eine Wikipedia-Gruppe ins Leben zu rufen, die Artikel schaffen bzw. erweitern soll, die SAT-nahe Themen behandeln.
Das Organisationskomitee des Kongresses verdient Dank für das in diesem Jahr besonders reichhaltige kulturelle Programm, das davon profitierte, dass der Leiter des Komitees Berufsschauspieler ist. Abends gab es einen ausgezeichneten Landesabend mit Volksmusik und Tanz im Stadttheater, Konzerte von JomO und Georgo Handzlik mit Tochter Dominika, eine Vorstellung des Schauspiels La Kredito durch Verda Banano (G. Handzlik und Sa?a Pilipoviĉ). Beim Abschiedsabend sang eine Esperanto-Frauengesangsgruppe aus Serbien, und danach wurden Lieder serbischer Roma von Sa?a Pilipoviĉ und einem Ãœberraschungsgast – einem der berühmtesten Opernsängern Serbiens, Voja Spasić – gesungen. Durch einen Empfang beim Bürgermeister und durch die Öffnung der Kulturabende für ein außenstehendes Publikum, sowie ihre Zweisprachigkeit, kam Kontakt zu Stadtbewohnern zustande.
Ein Ausflug führte durch den historischen Stadtkern mit der alten Waffenfabrik, deren eine Fabrikhalle ein Museum geworden ist, das auch den Kampf der Arbeiterbewegung um Selbstverwaltung veranschaulicht. Bei einem Ganztagsausflug sahen Teilnehmer das Mönchskloster Manasija, die Resava-Höhle und den Wasserfall Veliki Buk. Ein mehrstündiger Ausflug führte zum Gedenkpark und Museum „Kragujevacer Oktober“ am Rande der Stadt. Sie sind mehreren Tausenden von Opfern des Nazi-Terrors gewidmet, die am 21. Oktober 1941 dort erschossen wurden. Ein dreitägiger Ausflug nach dem Kongress beschritt „Wege des Weines und der Geschichte“ im ostserbischen Gebirge.
Die alljährliche Abhaltung eines eigenen Kongresses macht es nicht nur möglich, dass SAT ein reichhaltiges Programm anbietet, sondern erlaubt vielen Mitgliedern und Nichtmitgliedern, in engem Kontakt zueinander zu bleiben. Das hemmt eine Verschmelzung mit dem nach eigener Definition „neutralen“ Esperanto-Milieu, mit dem SAT ansonsten aber freundliche Beziehungen unterhält.
Autoren aus der Esperanto-Fördergruppe
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